Schon als Kind begann ich unmittelbar nach den Herbstferien mit dem Üben der Weihnachtslieder auf der Blockflöte. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit", „Es kommt ein Schiff geladen", „ Oh, Heiland reiß die Himmel auf" – die Melodien begleiteten mich durch die dunkler werdenden Novembertage. Manchmal verstand ich den Text nicht ganz. Zugegeben, unseren heutigen Sprachgewohnheiten entsprechen diese Lieder nicht. Doch sie sind sehr schön, und ihre Melodie lädt ein, die Adventszeit aus einer anderen Perspektive zu sehen – beziehungsweise zu hören.
Im Laufe meiner Tätigkeit als Pfarrerin lernte ich auch die Geschichten hinter den Liedern kennen. „Macht hoch die Tür" schrieb jemand, der für ärmere Menschen einen direkten Zugang zur Kirche erreichen wollte – was im Winter und mit Holzschuhen im 17. Jahrhundert durchaus eine Erleichterung war, als einen langen Umweg in Kauf zu nehmen. „Es kommt ein Schiff geladen" entstand im 14. Jahrhundert in Straßburg, und wenn das Lied gesungen wird, kann man sich die vollbeladenen Schiffe auf dem Rhein vorstellen. „O Heiland, reiß die Himmel auf" mag heute angesichts der Weltlage mancher denken. Friedrich von Spee, Jesuit und entschiedener Gegner der Hexenprozesse, schrieb damit ein frühes Protestlied gegen das Unrecht.
Das war, bevor „Rudolph the Red-Nosed Reindeer" und die „Weihnachtsbäckerei" die Hitliste der bekannten Lieder für die stille Jahreszeit anführten. Auf den Weihnachts-, Winter- und Adventsmärkten, sind die Lieder beim Essen der Bratwurst und beim Trinken des Glühweins längst nur noch Hintergrundmusik.
Dabei klingen sie am besten in den Kirchen. Irgendwie schwingt da noch mehr mit, etwas, das kein noch so großer Saal mitgeben kann: die Dimension der Ewigkeit. Diese Musik, von Menschen geschrieben und gedichtet, ist mehr als Hintergrundberieselung. Sie erzählt von der guten Nachricht, dass Gott Mensch wird und wir einen Wert besitzen – einen ewigen.
Ich freue mich auf den Gottesdienst am ersten Advent, wenn das erste Lied im Gottesdienst auf der Orgel mit allen Registern gespielt wird: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit."
Gesegnete Adventstage.
Elke Wedler-Krüger, Pfrin in Duttweiler ( u.a.)